Tipps und Tricks
Gendern: eine Handreichung für geschlechtssensibles Schreiben
Wie halten Sie es mit dem Gendern? Wenn Sie jetzt schon mit den Augen rollen, hören Sie auf zu lesen. Dies ist ein Ratgeber für pragmatische Menschen, nicht für ideologische. Er soll als sprachliche Orientierung und Unterstützung für Kommunikationsprofis in Unternehmen und Verbänden dienen. Mein Fokus ist die geschriebene Kommunikation. Zum Gendern in der gesprochenen Sprache wird demnächst ein gesonderter Text folgen.
Auch Pragmatismus hat aber ein Fundament: Was ich hier aufschreibe, basiert auf meinen Erfahrungen mit unterschiedlichen Arten des Genderns, auf Debatten, die ich geführt, und Vorbehalten, die ich gehört habe. Ich werde Ihnen verschiedene Herangehensweisen und ihre jeweiligen Tücken schildern und vor allem sprachlich einordnen und bewerten. Als Agenturmitarbeiter ist die Dienstleistung mein Geschäft, nicht die Politik. So viel sei aber gesagt: Meine Antwort auf die Einstiegsfrage ist "Ich gendere, und das können Sie auch. Wahrscheinlich sollten Sie es sogar."
Gendern: alle Menschen erreichen
Denn eigentlich ist Ihre Entscheidung einfach: In der professionellen Kommunikation geht es nicht um Ihre Gründe oder Gefühle, warum Sie womöglich NICHT gendern wollen. Sondern um die Gründe und Gefühle jener Menschen, die bei Ihnen kaufen, für Sie arbeiten, Ihnen Geld leihen, Sie in der öffentlichen Debatte ernstnehmen oder Sie schlicht gut finden sollen. Die haben vielleicht eine andere Sicht aufs Gendern. Und diese Menschen könnten ihre Einstellung Ihnen, Ihrem Arbeitgeber, dessen Angeboten und Argumenten gegenüber auch davon abhängig machen, inwiefern Sie sich in Ihrem sprachlichen Auftritt geschlechtssensibel präsentieren.
Gehen wir deshalb davon aus, dass Sie prinzipiell alle Menschen mit Ihrer Kommunikation erreichen wollen, weil Sie diese gleichermaßen von sich, Ihrem Produkt oder Ihrer Dienstleistung überzeugen wollen.
Sollten Ihre Führungskräfte oder gar das Management Ihres Unternehmens das anders sehen und Gendern als Debatte einer kleinen lauten Minderheit, als für den Geschäftserfolg irrelevant oder aus anderen Gründen unnütz ansehen – dann finden Sie im Folgenden wenigstens eine Argumentationshilfe für die Debatte. Haben Sie es hingegen selber in der Hand, inklusiver zu formulieren, erhalten Sie eine Handreichung, woher die Gender-Diskussion rührt und wie Sie damit praktisch umgehen können.
Geschlechtssensible Sprache: Grammatisches vs. biologisches Geschlecht
Entscheidend für die wachsende sprachliche Sensibilität und Notwendigkeit beim Thema Gendern ist der Unterschied zwischen grammatischem Geschlecht (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus). Beide stimmen im Deutschen nicht immer überein:
"der" Mensch ist grammatisch männlich, biologisch männlich/weiblich/divers
"die" Person ist grammatisch weiblich, biologisch männlich/weiblich/divers
"das" Mädchen ist grammatisch ein Neutrum, biologisch weiblich
Generisches Maskulinum
Zum Problem wird dieses Auseinanderfallen von Genus und Sexus beim generischen Maskulinum. Im Deutschen existieren viele Gattungsbegriffe für Gruppen von Menschen, die scheinbar nur deren männliche Mitglieder berücksichtigen: die Mitarbeiter, die Kollegen, die Bürger. Das wird von manchen kritisch gesehen, weil sie darin eine Bevorzugung von Männern erkennen und deshalb andere, für alle Geschlechter sensible Formulierungen forcieren.
Dahinter steht die Annahme, dass Sprache das Bewusstsein prägt. Was wir hören und lesen bestimmt, woran wir dabei denken. Hören wir also etwas "Männliches", denken wir an "Männer". An dieser Stelle gerne nochmal: Selbst wenn Sie diese Annahme nicht teilen und bei "Kollegen" immer alle Frauen und diversen Menschen mitdenken – wichtig ist, wie es bei Teilen Ihres Publikums ankommt. Und Ihr Publikum kann nicht in Ihren Kopf gucken, sondern nur Ihre Kommunikation lesen und hören.
Sprachlich haben Sie vier Möglichkeiten, etwas am generischen Maskulinum zu ändern:
1. Die Schmalspurlösung: der Genderhinweis
Gerade für größere Publikationen (oder auch eine komplette Webseite) gibt es eine vermeintliche Gender-Zauberformel – den Hinweis im Impressum oder an einer anderen Stelle. Der lautet oft so oder so ähnlich:
"In dieser Publikation wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Damit sind hier ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten gemeint."
Diese Lösung ist eine Arbeitserleichterung für alle Kommunikationsverantwortlichen, weil sie kurz und vor allem einmalig formuliert wird. Sie kann Ihrem Publikum aber zu wenig sein. Eben weil Sie augenscheinlich eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Gendern scheuen oder verweigern: Sie halten am generischen Maskulinum fest und hoffen, dass Ihre Leserschaft auch an Frauen und gender-diverse Menschen denkt, wenn sie grammatisch-männliche Gattungsbegriffe liest.
Bedenken Sie außerdem, dass nicht alle Ihren Genderhinweis lesen werden: Wer mitten in eine Publikation hineinblättert oder überall anders hinklickt außer aufs Impressum, wird Ihre (Hinter)Gedanken zum Thema gar nicht wahrnehmen.
2. Der sanfte Einstieg ins Gendern: die Paarform
Die zweiteinfachste Übung im Gendern ist es, jedem ursprünglich generischen Maskulinum ein Femininum an die Seite zu stellen: Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Leserinnen und Leser. Dabei gilt das Titanic-Prinzip: Frauen und Kinder zuerst. Vermeiden Sie es bitte, wie die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer die männliche Form voranzustellen.
Diese Paarform ist verbreitet. Sie hat aber drei Probleme:
- Ein praktisches: Paarformen machen Texte sehr lang.
- Ein stilistisches: Mehrere Paarformen in aufeinander folgenden Sätzen – oder gar im gleichen Satz – sprechen und lesen sich nicht immer gut.
- Ein grundsätzliches: Für manche Menschen zementiert die Paarform den Dualismus Mann–Frau und lässt keinen Raum für Geschlechteridentitäten dazwischen oder jenseits davon. Dass es diesen Raum gibt, hat spätestens das Bundesverfassungsgericht 2017 mit seinem Urteil zum dritten Geschlecht "divers" im Personenstandsrecht festgefügt.
Das grundsätzliche Problem ist aus Kommunikationssicht das womöglich schwerwiegendste: Wer die Paarform nutzt, riskiert Menschen auszuschließen oder abzustoßen, die sich selber nicht als Mann oder Frau identifizieren oder jenen Menschen gegenüber sprachlich sensibel sein wollen.
Weil in diesem Punkt die Debatte gerne noch emotionaler wird als über das Gendern grundsätzlich, hier erneut die harte Wahrheit aus Kommunikationssicht: Für die Gefühle, Reflexe, Vorurteile oder Faktendossiers von Ihnen als Kommunikationsprofis interessiert sich beim Thema Geschlechteridentitäten niemand. Alleine entscheidend ist, dass es Menschen gibt, die sich entsprechend identifizieren und/oder die damit verbundene Sensibilität einfordern – Menschen, die Ihr Produkt oder Ihren Service nutzen, Ihnen zuhören oder Sie gut finden sollen. Solange es nicht zu Ihrem Markenkern gehört, Sie die genannten Zielgruppen nicht für unwichtig erachten oder sogar explizit ausschließen wollen, seien Sie also immer lieber inklusiv als exklusiv, wenn es um Menschen geht.
Dafür bietet Ihnen das Deutsche gleich mehrere Optionen.
3. Geschlechtsneutrale Formulierungen
Haben Sie gemerkt, wie häufig ich "Menschen" geschrieben habe? Das passt immer und auf uns alle, sofern wir weder Tentakel noch spitze Ohren haben. Doch auch spezifischere Bezeichnungen sind geschlechtsneutral und damit inklusiv möglich:
- Beschäftigte statt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- Fachleute/Fachkräfte statt Fachmänner
Inklusivität ist ein ideeller Vorteil solcher Formulierungen. Ein praktischer Vorteil ist die Platzersparnis im Vergleich zur Paarform.
Was Sie je nach Wortwahl allerdings in Kauf nehmen, ist das Abstrakte und Unpersönliche. Bei geschlechtsneutralen Formulierungen tritt die handelnde Person oft in den Hintergrund und die Handlung selbst wird stärker betont. "Liebes Team" etwa kann distanziert wirken. Und für manche Personenkonstellationen gibt es schlicht keine geeigneten geschlechtsneutralen Formulierungen.
3.a Das Partizip beim Gendern
Ebenfalls möglich, aber komplizierter, ist der Einsatz sogenannter Partizipialkonstruktionen als geschlechtsneutrale Formulierungen. Einfach gesagt, sind das Bezeichnungen, die auf "-ende" enden (was bei der AfD bereits zu Hirnschmerzen geführt hat):
- Studierende statt Studentinnen und Studenten
- Mitarbeitende statt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Beachten Sie einerseits, dass diese Konstruktion grammatikalisch eigentlich dazu dient, eine aktuelle, aktive Handlung zu beschreiben. Also: Während des Semesters sind Studierende Studierende, weil sie studieren. In den Semesterferien aber sind sie streng genommen Rumhängende, Reisende oder Ferienjobbende. Während ich dies schreibe, bin ich ein Schreibender, ansonsten ein Schreiber. Und ein Kollege weist manchmal gehässig darauf hin, dass nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch Mitarbeitende sind...
Andererseits verändern Partizipialkonstruktionen manchmal den Sinn einer Bezeichnung: Trinkerinnen und Trinker sind es etwas grundlegend anderes als Trinkende.
3.b Gendern in Stellenausschreibungen
Ungeeignet sind Partizipialformen auch bei Jobbezeichnungen. So werden Sie im Zweifel keine "Backenden" suchen, sondern "Bäcker (m/w/d)". Dieses Zusammenspiel aus generisch maskulinem Jobtitel und dem inklusiven Dreiklang männlich/weiblich/divers ist längst Usus in Stellenanzeigen.
Einen Schritt weiter will nun die Stadt Freiburg gehen und bei kommunalen Stellenausschreibungen auf den generisch femininen Jobtitel wechseln, verbunden mit einem (a) für "alle".
4. Genderzeichen: Doppelpunkt, Asterisk, Unterstrich, Slash
Der Lieblingsfeind mancher Sprachbegeisterter ist das Genderzeichen – ein Zeichen, das ein Wort unterbricht und dadurch je nach Blickwinkel zerstört oder offener macht:
- der Asterisk/das Sternchen: Student*innen
- der Doppelpunkt: Bürger:innen
- der Unterstrich: Konsument_innen
- der Schrägstrich/Slash: Lehrer/innen
Rein praktisch lassen sich solche Zeichen als platzsparende Abkürzung der Paarformen betrachten. Mit Blick auf Geschlechtssensibilität sind sie aber mehr: Sie sind sozusagen die persönlichere Variante geschlechtsneutraler Formulierungen. Wo man sich "Beschäftigte" oder "Mitarbeitende" leicht als gesichts- und eigenschaftslose Masse vorstellen kann, sind "Mitarbeiter:innen" Individuen, eine Gruppe von Männern, Frauen und Menschen anderer Geschlechteridentitäten.
4.a Vorteile des Doppelpunkts beim Gendern
Für den Doppelpunkt beim Gendern sprechen aus meiner Erfahrung praktische, technische – und auch ideelle Gründe:
- Der Doppelpunkt signalisiert schon als Satzzeichen eine Pause. Beim Lesen wird er daher einfacher "umgewandelt" in eine Pause als das etwa bei einem Unterstrich der Fall wäre.
- Auch in der gesprochenen Sprache können wir gut mit dem Doppelpunkt umgehen: Er entspricht dem Glottisschlag, also dem kurzen Verschluss in der Kehle, den wir zum Beispiel vor jedem Wort machen, das mit "A" beginnt.
- Leseprogramme, die Menschen mit Sehbehinderung nutzen, interpretieren den Doppelpunkt ebenfalls als Pause. Ein * lesen sie als "Sternchen" vor.
- Unterstriche oder Schrägstriche werden in der geschriebenen Sprache mitunter als etwas Trennendes interpretiert.
Haben Sie also schon die 95 Prozent des Gendern-Weges bis hierhin geschafft, raffen Sie sich zu den letzten 5 Prozent auf und verwenden Sie den Doppelpunkt.
Ob Sie den Doppelpunkt sprachlich korrekt einsetzen, lässt sich durch die Weglassprobe feststellen: Wird ":in" oder ":innen" weggelassen, sollte die restliche Form ein korrektes Wort ergeben. Wie etwa bei Lehrer:in. Es ziehen aber immer mehr Doppelpunkt-Wörter in den Sprachgebrauch ein, die laut Weglassprobe strenggenommen nicht richtig, aber inzwischen üblich sind. Scheuen Sie sich also nicht, Ihre "Kund:innen" anzusprechen. Sprache lebt, Sprache verändert sich.
Allerdings werden Sie auch auf sprachliche Hürden stoßen: Genderzeichen können im Singular zu Problemen bei der Verwendung von Artikeln oder Pronomen sowie in anderen Fällen als dem Nominativ führen ("der/die oder ein:e Kolleg:in, die/der dieses Thema vorantreibt"). Dann empfiehlt es sich, sofern sachlich richtig, den Plural oder die Paarform zu verwenden ("die Kolleg:innen/die Kolleginnen und Kollegen, die dieses Thema vorantreiben").
5. Gendern von Eigennamen, akademischen Graden und Amtstiteln
Verwenden Sie in Ihrer Kommunikation Eigennamen, sollten Sie das in der Form tun, in der diese von den jeweiligen Institutionen festgelegt sind (etwa der Ärztekammer, dem Deutschen Journalisten-Verband oder Bundeskanzleramt). Bei Amtsbezeichnungen sollte die Bezeichnung verwendet werden, die das Geschlecht der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers zum Ausdruck bringt (die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier). Gleiches gilt für Titel und akademische Grade.
6. Gendern: auch eine Frage der Dosis?
Wenn gendern, dann immer und überall? Das wird maßgeblich von praktischen Erwägungen abhängen:
- Seien Sie grundsätzlich so konsequent wie möglich. In einem meiner Projekte war die Kundenvorgabe "An der ersten entsprechenden Stelle jedes Kapitels Paarform, danach aus Gründen der Lesbarkeit generisches Maskulinum." Das wird sich niemandem in Ihrer Leserschaft erschließen.
- Bieten Ihre Kommunikationsmittel wie Webseite, Printprodukte oder Social Media-Posts stellenweise nur begrenzten Raum, kann aus "Unsere Chemikant:innen, Laborant:innen und Mitarbeiter:innen in der Verwaltung" auch mal "Unsere Beschäftigten" werden. In solchen Fällen steigen Sie sozusagen wieder eine Sprosse der Leiter herab, die Sie vom generischen Maskulinum über die Paarform zum Gender-Doppelpunkt erklommen hatten.
- Auch wenn es sich von selbst verstehen sollte: Sie gendern natürlich nur, wenn die Zielgruppen oder die handelnden Personen in Ihrer Kommunikation gender-divers sind. Berichten Sie etwa über Angebote, die Sie ausschließlich Ihren Mitarbeiterinnen machen, brauchen diese weder ein "...und Mitarbeitern" noch einen Doppelpunkt.
Geschlechtssensibles Schreiben: Vieles ist im Fluss
Zum Schluss und entweder zu Ihrem Trost oder Ihrer Frustration: Die Debatte übers Gendern in der professionellen Kommunikation hat in mancher Hinsicht erst begonnen. Es kursieren viele Meinungen, Herangehensweisen und sicherlich genauso viele Handreichungen wie diese hier. Entscheidend bleibt: Wichtig ist, wie’s ankommt.
Probieren Sie also aus, auf welche Formen Ihre Zielgruppen wie reagieren. Stellen Sie Ihre Kommunikation nicht von heute auf morgen um – und erklären Sie in jedem Fall Ihre Motive für das, was Sie da tun, Ihre Überzeugungen und Erwartungen. Rechnen Sie nicht mit spontanen Effekten auf Ihre KPIs, sondern mit einem eher langsamen Wahrnehmungswandel Ihres Publikums.
Aber rechnen Sie vor allem nicht mit Lob. Schreien werden wie so oft nur die Pikierten (m/w/d).
Fragen, Input, Austausch?
Nicolas Schöneich
Senior Concepter der IW Medien