Aus der Agentur

Reporterschicksal

Ein Stapel von Zeitschriften der aktiv - der Fokus liegt auf der linken Oberen Ecke, in der ein Gehirn stilisiert ist, welches Gewichte hebt.

Der klapprige blaue Pick-up fährt viel zu schnell. Zu schnell für die staubige, von Schlaglöchern übersäte Straße in Khayelitsha, dem riesigen Township hier am Rand von Kapstadt, Südafrika. Und vor allem fährt die Karre zu schnell angesichts der vielen Männer, die sich hinten auf der Ladefläche an irgendwas festhalten, um nicht vom Wagen zu fliegen. Der Wagen kommt näher, fängt an zu hupen. Dann ist die schrottreife Kiste auf unserer Höhe, und ich sehe, wie die Männer hinten auf der Pritsche mit den Fingern auf uns zeigen. Sie zeigen auf Naomi, meine Fotografin, und auf mich, den Reporter. Auf zwei Weiße, mitten im Township. Der Wagen schießt vorbei, die Männer auf der Ladefläche johlen, alle sehen uns an. Der Fahrer auch. Ich grinse. Noch.

Eine Sekunde später herrscht Chaos. Ein infernalisches Krachen, kreischendes Metall, ein Gewitter aus splitterndem Glas, wimmernde Reifen, die verzweifelt versuchen, Halt auf der Staubpiste zu finden.

Dann – Stille. Einen quälenden Moment lang.

Auf der Mitte der Kreuzung hat sich der Pick-up in die Seite eines anderen Autos gebohrt. Unter der zerklüfteten Motorhaube quillt der Dampf hervor. Männer liegen stöhnend auf der Straße. Dann plötzlich wütendes Geschrei, wieder Finger, die auf Naomi und mich zeigen. Der Fahrer des Pick-ups stößt die Tür mit dem Fuß auf, taumelt aus dem Haufen Schrott und wankt auf uns zu. Andere schließen sich ihm an. Plötzlich wimmelt es vor Menschen. Anwohner strömen aus Wellblechverschlägen und Bretterhütten, alle brüllen durcheinander. Ich stehe bloß da und schalte nicht. Naomi schon: „Run, Uli! Now!“

Wir rennen. Unser Auto, ein kleiner Toyota, steht vielleicht zweihundert Meter entfernt am Straßenrand. Im Vollsprint drehe ich mich um, sehe Steine in unsere Richtung fliegen. Vor einer halben Stunde habe ich hier im Township noch mit Waisen in einem Kinderheim gespielt, und jetzt müssen wir Fersengeld geben? Immerhin: Wir sind schneller, reißen die Türen auf, Naomi gibt Gas, und wir sind weg. Schweigend fahren wir eine Weile, zurück in die Stadt. Dann sagt Naomi, die gebürtige Kapstädterin: „There are situations you probably should not be in the middle of“.

Am Abend, mit Blick aufs Meer, denke ich darüber nach. Situationen, in denen man besser nicht stecken sollte? Ich weiß nicht. Ist es nicht gerade das, was man sucht als Reporter?

Die Bedeutung politischer Stabilität und verlässlicher Rahmenbedingungen

Ich bin 53 Jahre alt. Seit gut 30 Jahren arbeite ich als Medienmacher. Seit einem Vierteljahrhundert für die IW Medien. Mein Hauptjob hier: Reportagen zu Themen rund um die soziale Marktwirtschaft. Bunt sollen sie sein. Informativ. Fakten sollen sie transportieren. Und unterhalten sollen sie auch. Vor allem, wie ich finde.

Was soll ich sagen: Ich liebe diesen Beruf.

Der Vorfall, von dem ich eingangs dieses Blogbeitrags erzählt habe, hat sich 2009 ereignet: ein Jahr vor der Fußball-WM dort. Ich bin hingereist, um zu recherchieren, wie sich das Land entwickelt. Ich traf einen populären Radioreporter und diskutierte mit ihm über die Ungleichheit im Land, sprach mit Verkäufern von Obdachlosen-Zeitungen, besuchte deutsche Unternehmen vor Ort. Was ich gelernt habe: Politische Stabilität, funktionierende Staatlichkeit, verlässliche Rahmenbedingungen, Sozialstaat, Bedingungen, unter denen Marktwirtschaft funktionieren kann – wie wichtig das alles ist, merkt man erst, wenn es fehlt. 

Zwei Männer unterhalten sich an einer Straßenkreuzung. Einer von ihnen trägt eine auffällige rote Weste mit der Aufschrift 'The big issue - Proud to be working'.

Was zählt, ist die Geschichte

Eigentlich war Wirtschaft nie meine Leidenschaft. Fußballreporter hatte ich werden wollen. Es kam anders, und das ist ganz gut so. Aus fast dreißig Ländern habe ich für die IW Medien mittlerweile berichtet. In Madrid brüllten aufgebrachte Demonstranten während der Finanzkrise auf mich ein, in Island faszinierte mich Monate später ein einzelner Demonstrant, der jeden Tag einsam vor das Parlament zog und mit einem Holzlöffel auf eine Blechpfanne eindrosch. In Shanghai staunte ich, als ein Kleinkrimineller gefälschte Luxusuhren aus der Deckenverkleidung eines Hinterzimmers fischte. In Istanbul diktierten mir junge Türkinnen ihren Groll gegenüber Erdogan in den Block, in den USA präsentierte eine Trump-Anhängerin dem IW-Medien-Team stolz ihre Waffensammlung. In Detroit stolperten mein Kollege Daniel Roth und ich durch eine verfallene Autofabrik, in der Kleinstadt Monessen führte uns der Bürgermeister Lou Mavrakis kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 durch seinen Ort. Früher blühender Stahlstandort, nach der Abwanderung der Industrie aus dem Rust Belt nur noch Armut, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit. „Der verdammte IS würde hier keine Bombe verschwenden“, schnaubte Mavrakis damals. „Hier ist doch schon alles kaputt.“

Ich glaube, was für einen Reporter am Ende wirklich zählt, ist nur die Geschichte, die man mitbringt. Und gut sind Geschichten meist dann, wenn sie von Menschen erzählen. Wenn sie berühren. Aufregen. Auch ärgern dürfen sie. Aber nicht langweilen. Klar, es geht um Wirtschaft. Und um die treffend zu beschreiben, Zusammenhänge greifbar zu machen, brauchst du Zahlen. Statistiken. Aber ohne Emotion, vermittelst du nun mal auch keine Botschaften. Und Emotionen weckt man nicht durch Zahlen allein. Sondern durch Menschen.

Ich finde, da schließt sich ein Kreis. Auch Zentrum der sozialen Marktwirtschaft steht immer: der Mensch. Darüber zu berichten, ist mein Job.

Übrigens: Wir brauchen immer wieder Kollegen, die genau darauf Lust haben.

Interessiert? Dann hier entlang: IW Medien Karriereportal

Mehr Infos zum Autor.

Ulrich Halasz
Chefreporter der IW Medien

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