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Wert der Arbeit: Warum Jobzufriedenheit kein Mythos ist

Chefreporter Ulrich Halasz mit einzigen Wattpostboten Deutschlands, Knud Knudsen

Die Sonne steht noch nicht lange am Himmel, als Knud Knudsen den saftig grünen Deich hochstürmt und den Blick übers Wattenmeer schweifen lässt. „Ostwind heute, das is’ gut. Wenig Wasser“, murmelt er zufrieden. Schichtbeginn für den einzigen Wattpostboten Deutschlands.

Knudsens Job: die Post zu Fuß von der nordfriesischen Insel Pellworm zur Hallig Süderoog zu bringen. Sechseinhalb Kilometer durch den Schlick, eine Stunde Pause auf dem winzigen Eiland, sechseinhalb Kilometer zurück, immer mit Blick auf die Uhr, die Flut wartet nicht. Was nach Anstrengung und Stress klingt, ist für Knudsen ein Traumjob: „Ich freu mich auf jeden einzelnen Arbeitstag“, sagt der 69-Jährige. Dann packt er seinen Rucksack, guckt auffordernd, und wir beide stiefeln los.

Der Wattpostbote – und ich, die Landratte. Der IW-Medien-Reporter.

Hierhin, in die nordfriesischen Idylle, hat mich mehr als nur pure Meereslust geführt. Für einen großen Themenschwerpunkt in der „Wirtschaftszeitung aktiv“, die wir bei den IW Medien produzieren, gehen mein Kollege Michael Aust und ich einer Frage nach: Welchen Wert hat eigentlich Arbeit für uns? Genauer: Welches Verhältnis haben wir zu unseren Jobs. In Büros, in den Werkhallen, an Produktionslinien, Maschinen, PC-Tastaturen? Ist Arbeit nur etwas, das man einfach erträgt, um am Ende des Monats die Miete zahlen zu können? Beginnt Freiheit etwa erst mit Freizeit? Oder ist Arbeit doch mehr? (Spoiler: ja, und ob!)

Das Thema ist aktuell. Die Debatte über die Viertagewoche kocht immer mal wieder hoch, so auch jetzt. Forderungen nach üppigen Lohnsteigerungen – bei verminderter Arbeitszeit – werden lauter. Die durchschnittlich geleistete Wochenarbeitszeit sinkt ohnehin schon seit Jahren. Und das Wunschpensum pro Woche? Laut Sozio-oekonomischem Panel so niedrig wie nie zuvor. Besonders bedenklich dabei: Vor allem Vollzeitbeschäftigte geben an, ihre Arbeitszeit am liebsten reduzieren zu wollen.

Wenig Bock auf Arbeit – das hat volkswirtschaftlich üble Auswirkungen. Christoph Schröder, Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, betrachtet das mit Sorge: „Sollte das Arbeitszeitvolumen hierzulande weiter sinken, hätte das dramatische Folgen – nicht nur für die Sozialsysteme, sondern auch für den Wirtschaftsstandort.“

Aber wie verdeutlicht man als Kommunikationsagentur glaubhaft, dass Arbeit mehr ist als der Tausch von Zeit gegen Geld?

In unseren Redaktions-Brainstormings bei IW Medien war schnell klar: Wenn wir das schaffen wollen, dann braucht die Story ordentlich Flughöhe. Einen Protagonisten, dem man das abnimmt, diese Liebe zum täglichen Tun. Um dann zu fragen: Okay, schön und gut, aber wie viel davon gilt denn auch für unsere Jobs, in unserer Otto-Normal-Arbeitswelt? Deshalb: Moin, Knud Knudsen.

Zurück im Watt. Kühl ist es geworden vor Pellworm, die Sonne ist mittlerweile hinter Wolken verschwunden, Knudsen stapft seit einer guten Stunde gen Süderoog. Viel Post hat er heute nicht dabei, kein Wunder, nur ein Ehepaar samt zwei kleinen Töchtern lebt auf der Hallig. Wann der Zusteller losstiefelt, entscheidet dabei nicht er, sondern allein der ewige Wechsel von Ebbe und Flut: „Die Gezeiten geben mir die Arbeitszeit vor.“ Was auch bedeutet, dass er im Winter oft im Dunkeln durchs Watt läuft, mit Kompass in der Hand.

Und da wäre ja noch das Wetter. Wie oft er von Gewittern überrascht worden ist, weiß Knudsen schon gar nicht mehr. Kürzlich blieb die Post im Sack und Knudsen auf Pellworm, zu heftig waren die Stürme. „Manchmal ist der Weg eine Herausforderung, wenn das Wasser höher ist als erwartet oder plötzlich Seenebel aufkommt.“ Auch nach zwei Jahrzehnten im Watt freut sich Knudsen jedes Mal, wenn er wieder den Deich von Pellworm erreicht hat. „Es ist ein gutes Gefühl, meine Leistung erbracht zu haben“, sagt er.

Und wenn das mal nicht mehr geht? Eine Weile geht Knudsen schweigend, dann streicht er sich durch die wilde graue Mähne. „Mir würde viel fehlen. Der Job ist ein großer Teil von mir, das Watt, das Meer, das hat mich doch alles geprägt über die Jahre. Und ich wollte das nie anders.“

Den Wattpostboten vom Menschen Knud Knudsen zu trennen – das scheint also kaum möglich. Aber hat der Mann nicht auch leicht reden? Hier draußen am Meer, die Haut gegerbt von Wind und Wetter, fällt es da nicht leicht, über Begrifflichkeiten wie Work-Life-Balance altersmilde zu lächeln?

Anruf bei Werner Eichhorst, Arbeitsforscher im Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Für ihn ist klar, dass Arbeit gleich mehrere Funktionen übernimmt. Und zwar für uns alle, egal, in welchem Job. Zu den „harten“ Faktoren zählt natürlich der Gelderwerb: Erst der Vertrag „Zeit gegen Geld“ macht aus einem Job eine Sache mit Rechten und Pflichten. Doch beim Geld hört der Wert der Arbeit für Eichhorst eben noch lange nicht auf. „Menschen sind keine Maschinen. Sie bringen ihre ganze Persönlichkeit mit“, sagt Eichhorst. Für Maschinen reicht es, wenn sie genug Strom haben und hin und wieder gewartet werden. Menschen ziehen aus ihrem Job deutlich mehr. Zum Beispiel biete Arbeit die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, sagt Eichhorst. Die Motivation, etwas gut zu machen, und den Produzentenstolz, wenn uns etwas gelungen ist.

Dazu passt: Studien zufolge sind Menschen am glücklichsten, wenn sie das Gefühl haben, etwas zu schaffen und Teil von etwas Bedeutendem zu sein. „Arbeit bringt Anerkennung“, sagt Eichhorst, „sie zeigt uns, wozu wir fähig sind.“

Work-Life-Balance – für den Philosophen Thomas Vašek führt die Trennung von Arbeit und Leben generell in die Irre. „Dahinter steckt die konfuse Vorstellung, dass ‚Arbeit‘ und ‚Leben‘ verschiedene Dinge wären“, sagt der Autor des Bestsellers „Work-Life-Bullshit“. Das sei aber schon begrifflich Unsinn: „Arbeit gehört zum Leben. Ohne zu leben, könnten wir gar nicht arbeiten.“ Also könne es auch keinen Ausgleich geben zwischen Leben und Arbeit. Im Gegenteil. Oft nämlich ist ja eben die Arbeit für unser Selbstbild besonders wichtig. „Noch im Ruhestand definieren wir uns über den Beruf“, sagt Arbeitsmarktforscher Eichhorst. „Und gerade in westlichen Ländern ist die Arbeit oft ein prägender Teil der Biografie.“

Das also kann der Job alles sein. Herausforderung, der man sich stellt und an der man wächst, zum Beispiel. Identität stiftender Teil des eigenen Lebens. Etwas, das Bestätigung gibt. Was den Tag strukturiert. Von der Tatsache, dass der Arbeitsplatz, der Betrieb, das Büro ja auch ein sozialer Ort ist. An dem Menschen zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu erschaffen.

Die Bedeutung von Arbeit als sinngebendes Element des Lebens – durch die Begegnung mit Knud Knudsen wird sie greifbar und erlebbar. Als Kommunikationsagentur ist es unser Job, solche Geschichten zu finden und sie zu erzählen.

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Ulrich Halasz
Chefreporter der IW Medien

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